Über Modetrends wie den zur meiner Meinung nach eher fragwürdigen 'Sprezzatura' wollte ich eigentlich nie schreiben...
Inspiriert durch meinen letzten Italien-Aufenthalt in Lucca hatte ich dann doch eine Idee, wie ich darüber bloggen könnte - denn die 'Sprezz' liegt dem alteingesessenen Italiener einfach im Blut - wenn auch anders, als in vielen "#Menswear"-Blogs dargestellt.
Doch, was bedeutet 'Sprezzatura' eigentlich?
Sprezzatura ist laut Baldassare Castiglione die Kunst „eine gewisse Art von Lässigkeit anzuwenden, die die Kunst verbirgt und bezeigt, dass das was man tut oder sagt, anscheinend mühelos und fast ohne Nachdenken zustande gekommen ist“... auf deutsch nichts anderes als Routine, die selbst anstrengende Tätigkeiten geradezu 'nebenbei', 'im Vorübergehen gemacht' erscheinen lässt. Man könnte auch 'Nonchalance' dazu sagen.
Es ist gemeinhin anerkannt stilvoller, sich in stilvoller Kleidung sehr natürlich und unverkrampft zu bewegen, als eher steif und gewollt daherzukommen. Nichts wirkt verkrampfter und gewollter, als zum Beispiel jemand, der eine Krawatte trägt, aber sich damit unwohl fühlt. Wenn man aber damit auftritt, als wäre es das Normalste der Welt, dann wirkt es ungemein sicher und daher auch umso stilvoller.
So weit, so gut.
Ein bekanntes Beispiel für jemanden, der quasi nebenbei (wenn es um Kleidung geht) Stilbrüche begangen hat und damit zum Inbegriff für die Sprezzatura geworden ist, war Gianni Agnelli. Er trug OCBD-Hemden mit Krawatte und vergaß oft, die Knöpfe zuzumachen, oder aber er trug seine Uhr über der Hemdmanschette. Er tat das wohl aus praxisgerechten Gründen - und er strahlte damit diese "Nachlässigkeit" aus, diese Ungezwungenheit, die eben die Sprezzatura ausmacht:
Quelle: thegentlemansjournal.com |
Auch der durchschnittliche, gut gekleidete Italiener denkt oft nicht allzu lang drüber nach, was er warum anzieht, und dass er dabei betont nachlässig aussieht. Er zieht sich gebügelte Hosen und Hemden an, er kämmt sich seine Haare, und: setzt einen uralten, bereits ein wenig "zerfledderten" Panama-Hut auf. Seine Schuhe sind auch deutlich getragen, aber gepflegt. Ich habe nicht einen solchen Lucchesen gesehen, sondern viele.
Auch Modetrends werden da durchaus mitgemacht, die bei uns oft albern wirken - aber auch darüber wird eigentlich nicht so intensiv nachgedacht. So habe ich in Lucca haufenweise Retro-Digitaluhren (von Casio) ausmachen können, und das durchaus auch in Gold (!) an Handgelenken von konservativ gekleideten Männern... Genauso wie bequeme Sneakers zu Stulpenhosen und Sakko - weil es halt bequemer ist!
Ein noch besseres Beispiel ist meiner Meinung nach der typische, etwas ältere Luccheser, der sich quasi permanent am Fahrrad fortbewegt: Er ist gut gekleidet, alles ist sauber und gebügelt, aber sein Fahrrad...
Sein Fahrrad ist alt. Uralt. Am besten noch verrostet auch. Hauptsache es fährt!
Neuer Sattel? Wozu? Ein mit Tape umwickelter tut's auch! |
Es ist die völlig normale Selbstverständlichkeit, mit der hier - abseits aller Modetrends - uralte Fahrräder benutzt werden, denn uralte Fahrräder fahren ebenfalls. Und sie haben einen Vorteil: sie werden nicht gestohlen! Niemand denkt hier darüber nach, ob das alte Fahrrad zur Kleidung passt oder nicht. Es fährt, und das ist wichtig.
Die Italiener in der Toskana haben einen sehr lockeren, selbstverständlichen Stil. Und das gefällt mir!