Sonntag, 27. Oktober 2019

Ein ganz spezieller Beitrag - Raz' Mafteis "Feines Maßschuh Atelier" in Dornbach, Wien


Im März dieses Jahres hatte ich die einzigartige Gelegenheit, bei einem ungezwungenen Treffen mit Bernhard Roetzel die Bekanntschaft von Raz Maftei zu machen.


Raz Mafteis Name ist in Wien nicht unbekannt. Sein Onkel betreibt eine sehr bekannte Schuhmacher-Werkstatt in der Wiener Innenstadt, sein Bruder ebenfalls.

Nach der Matura entschied sich Raz, ein Praktikum beim ehemaligen K. u. K. Hoflieferanten Scheer (der mit Abstand bekannteste österreichische Schuhmacherbetrieb) und im Anschluss eine Lehre zum Schuhmacher zu absolvieren.

Nach acht Jahren im Betrieb machte er die Meisterprüfung. Darauf folgten einige Jahre der Zusammenarbeit mit hochkarätigen Schuhmachern in Wien und Deutschland.




Vor etwa eineinhalb Jahren war es dann soweit: Raz eröffnete sein eigenes Atelier in der Dornbacher Straße in Hernals - eine Werkstatt, die im besten Sinne als "Old School" bezeichnet werden kann... hier gibt es neben althergebrachten Schuhmacherwerkzeugen nur eine einzige Maschine - eine uralte Adler Nähmaschine, die auf einem mechanischen Tisch von Singer mit Pedal betrieben wird. Mehr Old School geht nicht.







Alles wird nach uralter Methodik handgemacht, und das aus einer Hand (etwas, das nicht selbstverständlich ist, wird doch in vielen anderen Werkstätten in der Wiener Innenstadt Arbeitsteilung betrieben, beziehungsweise auch im nahen Ausland gefertigt). Weltweit arbeitet lediglich nur eine Handvoll Schuhmacher so wie Raz Maftei.







Hier wird gerade ein Rahmen handeingestochen...

Raz fertigt seinen Schusterleim selbst aus Weizenprotein an.


Auch wenn mein Fokus hier in der "Männergarderobe" auf den oft zitierten Schnäppchen liegt: die im besten Sinne altmodische, traditionelle Herangehensweise, gepaart mit einer unglaublich hohen Qualität sind für mich das Maß aller Dinge, wenn es um Schuhe geht. Und die sind ja bekanntlich eines meiner liebsten Steckenpferde. Daher habe ich den Meister in seiner Werkstatt besucht und interviewt:






Wie kommt man nun zu einem Paar klassischer Herren- oder Damenschuhe?




Zunächst wird ein Termin zum Maßnehmen ausgemacht (nachdem der Kunde überaus begeistert darüber ist, dass alles von Anfang bis Ende komplett von Hand selbst hergestellt wird 😉) - unbedingt vormittags!

Dann wird es ernst:

Zu Beginn wird eine Trittspur erstellt. Mit Hilfe von Tusche wird sichtbar, wie der Fuß aufliegt und wie der Druck verteilt ist. Der Fuß bleibt natürlich sauber 😉. Dann wird an den wichtigen Stellen Maß genommen.

Der Meister bespricht mit dem Kunden auch schon das Grundmodell - Derby, Pariser oder Slipper (auch Schlüpfer, Loafer) - also prinzipiell die Schnürung des Schuhs. Ein Slipper benötigt eine andere Bauweise des Leistens.



Die klassischen Tassel-Loafer von Raz Maftei gefallen
mir besonders gut!


Ist der Schuh für den täglichen Gebrauch, ein Abend- oder Saisonschuh? Ebenfalls abgeklärt wird, ob der Kunde viel darin steht, oder geht. Ganz wichtig ist die Machart. Rahmengenäht, Zwiegenäht oder Galanterie (sehr leichte Abend- oder Tanzschuhe mit geklebter Machart).



Sommer-Spectators!


Holzgenagelt wird bei Raz nicht, er bevorzugt eindeutig genähte Macharten. Holznägel kommen maximal für Absatzaufbauten zum Einsatz.

Der Kunde leistet eine Anzahlung und der nächste Termin für die Anprobe wird festgelegt.

Danach wird ein Paar Leisten (die besten Leistenmacher befinden sich zur Zeit in Ungarn), die im groben der Länge und Weite entsprechen bestellt, passgenau umgearbeitet und ein Probeschuh wird erstellt.


Ein noch unbehandelter Leisten...

... und einer, der gerade bearbeitet wird!


Im besten Falle ebenfalls vormittags findet die erste Anprobe statt. Der Kunde zieht die Schuhe an und Raz überprüft den Sitz. Er markiert eventuell Stellen, an denen es noch ein wenig drückt oder Stellen, an denen es noch etwas zu viel Spielraum oder Luft gibt.

Danach geht der Kunde ein wenig in seinen Probeschuhen herum. Beide beobachten die Gehfaltenbildung und den Sitz der Ferse, um zu vermeiden, dass es hinten Spiel gibt oder gar Druck.

Im Falle, dass die erste Anprobe nicht befriedigend verläuft, wird eine zweite vereinbart. Das ist aber bis jetzt noch nicht vorgekommen. Auch wenn es Grundlegendes zu ändern gibt, gibt die erste Anprobe meist genug Aufschluss darüber, was noch zu tun ist.

Im nächsten Schritt werden das Modell und die Lederauswahl gründlich besprochen. Details am Oberteil, zum Beispiel ob das Oberleder gezackt und mit einer Zierlochung (Brogues) versehen wird, und Ähnliches.


Das "Russian Leather" von Horween soll das berühmte
Rentier-"Hatch Grain" aus Russland nachahmen, das
heute nicht mehr erhältlich ist. 1786 ist ein Schiff mit
einer großen Ladung damit gesunken, und als man 1973
dieses heben konnte, war die gesamte Lieferung noch
problemlos verwertbar. Das meiste davon wurde damals von
George Cleverly und Stefano Bemer aufgekauft.


Ich finde Schuhe aus diesem Horween-Leder
ausgesprochen gelungen. Mir selbst schwebt
ein spezieller Single Monk Derby vor. Ich habe
bereits angefangen, zu sparen...


Der Boden wird ebenso gründlich besprochen. Die Sohlendicke, Art der Gelenke, Oberfleck des Absatzes, eventuelle Gummisohlen oder Eisen an der Spitze - die Möglichkeiten sind (fast) endlos.

Dann wird der ungefähre Fertigstellungstermin vereinbart. Immerhin braucht das erste Paar ungefähr 80 Stunden (also zwei volle Arbeitswochen), bis es fertig ist! Ist das Paar Schuhe fertig, passiert Folgendes:

Der Kunde schlüpft in seine hochglanzpolierten neuen besten Freunde. Es folgt noch eine Aufklärung über die notwendige Pflege, damit er einige Jahrzehnte lang Freude an seiner Investition hat.



Raz Mafteis Schuhe sind dem Aufwand entsprechend bepreist - das erste Paar Rahmen- oder Zwiegenähte kommt auf €2500,-, Folgepaare belaufen sich auf €2000,-... weitere Preise kann man natürlich direkt in der Werkstatt oder per Telefon erfahren.



Mit diesem Schuh hat Raz Maftei bei der Schuhmacher-
Weltmeisterschaft 2019 den 10. Platz belegt.